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please allow me

Monolog

immer wenn er um die ecke biegt in sein zimmer sieht er einen erhängten hinter jeder tür die er aufmacht hängt einer an einem haken von der decke manchmal ruft er nachts irgendeine nummer an ich bin’s sagt er und dann denkt jemand am anderen ende der leitung dass er ihn kennt und sie reden dann lange er wünschte er wär was besonderes eine fliege die schon dreimal durchs kerzenfeuer geflogen nur noch taumelt als kind ist er gern mit dem fahrrad die treppe runter gefahren an der u-bahn-station vom bürgersteig direkt weiter in die unterführung am treppenabsatz hat er abgehoben fliegen für sekunden war ein tolles gefühl an den aufprall kann er sich nicht erinnern die welt ist so beschissen klein geworden früher hat er sich mal gewünscht kriegsreporter zu werden das fand er toll im kugelhagel fotografieren wie dem kollegen neben dir der kopf weggefetzt wird er kann sich das gut vorstellen wie man immer noch mehr wagen muss wie im rausch immer noch ein stückchen weiter kriechen pushing your luck und man fühlt sich umso lebendiger je näher man dem tod kommt später wollte er schauspieler werden auf den echten krieg hatte er doch keine lust als schauspieler kann man immer wieder jemand anders sein man muss sich nicht festlegen denkt er sie glauben sie beobachten dich aber du beobachtest sie wie ein gladiator müsste man sein daumen hoch daumen runter steht er auf der bühne im kostüm mit dem schwert er übergießt sich mit benzin er zündet sich an er kann aber nicht sein wer er will draußen haben die bullen einen penner zusammengeschlagen mitten auf dem platz dann haben sie ihn in stabile seitenlage gelegt jetzt stehen sie um ihn herum und warten auf den notarzt ein alter mann in einer telefonzelle wird inzwischen von kleinen schwarzen fliegen aufgefressen er hat das schon immer gesehen schon als kind da braucht er gar keine drogen zu nehmen hat er dann aber trotzdem gemacht er hat sich mal kochendes wasser über die hand geschüttet wollte sehen was passiert die zeit hat sich nicht beschleunigt sie ist stehen geblieben und er hatte zeit den schmerz zu genießen passiert nichts neues mehr seit er kein kind mehr ist jetzt fährt er mit dem rad durch die stadt und sprayt er markiert die häuser sagt er die geschichte die er erzählt ist voller widersprüche manchmal erzählt er aus seinem leben als mensch und manchmal zum beispiel so geschichten mit einem penner besoffen am kanal den er ins wasser geschubst hat oder mit einem junkie immer weiter an die überdosis rantasten so eine scheiße sterben auf’m klo oder mit einem freund auf’m dach im schlafsack runtergerollt und weil er die geschichte kennt interessiert ihn jetzt die gegenwart nicht mehr er fühlt sich an wie menschenmaterial es ist nicht gut perfekt zu sein es ist nichts besonderes auf alles die richtige antwort zu wissen wenn man die frage vorher schon kennt die leute sorgen für sich selbst oft muss er gar nichts machen und warum nicht warum ist ein glücklicher selbstmörder so schwer vorstellbar eine würdevolle bestattung muss nicht teuer sein er geht einfach rein und schaltet das beatmungsgerät ab schlaf gut sagt er es gibt noch genug tote genug für alle ihm geht es gut er fährt die ganze nacht durch die stadt und beobachtet menschen überall an den unmöglichsten orten er hat immer das gefühl die zeit vergeht nachts schneller er findet instinktiv den richtigen weg obwohl er nichts wiedererkennt manchmal merkt er es daran dass es vorher ganz still wird und dann plötzlich ohne vorwarnung ist er er selbst auf der nächtlichen straße und es gibt momente da sind sterne am himmel und er ist 5000 jahre alt manchmal gelingt es ihm sich in solche dimensionen auszudehnen wenn er ganz langsam in der morgendämmerung mit dem fahrrad nach hause fährt

gegen vier bringe ich die stimmen zum schweigen und gehe ins bett

 

please allow me ist ein Monolog aus meinem Theaterstück herr tod lädt nicht ein aber wir kommen trotzdem. Von mir inszeniert im Rahmen der Spielzeiteröffnung des Düsseldorfer Schauspielhauses am 9. September 2007.

 

please allow me
von Nora Mansmann
Regie: Nora Mansmann
mit Denis Geyersbach

Düsseldorfer Schauspielhaus, 2007.